Co-Autorin: Xenia Martinez
Es ist Halbzeit für die Sustainable Development Goals. Bereits heute ist absehbar, dass ein Erreichen der Ziele bis 2030 nicht schaffbar ist – so das ernüchternde Fazit des im Juni von der UN veröffentlichten „Global Sustainable Development Report 2023“. Derzeitige Bemühungen von Staaten, Wirtschaft, Finanzmarkt und Zivilgesellschaft werden längst als nicht ausreichend beurteilt. Insgesamt ist der Grad der bisherigen Umsetzung bei der Hälfte der SDGs ungenügend, bei einem Drittel stagnierend bis rückläufig und nur gut zehn Prozent der Unterziele befinden sich auf einem positiven Zielerreichungspfad. Besonders besorgniserregend ist die Entwicklung laut Report bei den Zielen mit Bezug zu Ernährungssicherheit, Klimaschutz und Schutz der Biodiversität.
SDG 2: Hunger auf dem Vormarsch
Die Entwicklung von SDG 2 (Kein Hunger) zeigt, dass der Anteil der Menschen, die hungern müssen, zwischen 2019 und 2021 auf 9,8 Prozent gestiegen ist. Durch den Krieg in der Ukraine wurde die globale Lebensmittelversorgung reduziert, da Russland und die Ukraine weltweit zu den fünf größten Exporteuren von Getreide gehören. Darüber hinaus haben und werden die Folgen des Klimawandels, wie zum Beispiel Dürren, das Nahrungsmittelangebot weiter verringern.
SDG 13: Es wird immer wärmer
Im Bereich Klimaschutz weist der derzeitige Stand von SDG 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz) große Mängel auf: Die globale Durchschnittstemperatur wird Anfang der 2030er Jahre im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um 1,5 Grad wärmer sein. Bis Ende des Jahrhunderts wird mit einem Anstieg von zwei bis drei Grad gerechnet. Dennoch betragen die jährlichen weltweiten staatlichen Subventionen, die die Umwelt und das Klima schädigen, mehr als 680 Milliarden US-Dollar.
SDG 14 und 15: Leben an Land und unter Wasser stark gefährdet
Auch beim Schutz der Biodiversität zeigen die derzeitigen Entwicklungen von SDG 14 (Leben unter Wasser) und SDG 15 (Leben an Land), dass die aktuellen Bemühungen längst nicht genügen. Biodiversität unter Wasser und an Land wird von menschlichen Aktivitäten vielfältig geschädigt und ist mittlerweile stark gefährdet. Bei beiden SDGs war die Frist für die Erreichung einiger Unterziele das Jahr 2020, aber ihre Umsetzung ist äußerst unzureichend. Diese Entwicklung ist besorgniserregend, weil zum Beispiel Fischerei und Wälder eine wichtige Lebensgrundlage für viele Menschen sind.
Zu wenig Fortschritt an breiter Front – trotz kleiner Lichtblicke
Darüber hinaus zeigen weitere SDGs zu wenig Fortschritt auf. Die derzeitige Entwicklung des SDG 1 (Keine Armut) wird dazu führen, dass im Jahr 2030 etwa 575 Millionen Menschen in extremer Armut leben werden, vor allem in Teilen des subsaharischen Afrikas. Bestehende Ungleichheiten haben sich durch die COVID-19-Pandemie verstärkt, was wiederum SDG 10 (Weniger Ungleichheiten) entgegenwirkt. Auch in Bezug auf SDG 12 (Nachhaltige/r Konsum und Produktion) sind keine Fortschritte zu verzeichnen, da der globale Überkonsum und die daraus resultierende Abfallmenge weiter zugenommen haben. Aber auch kleine Erfolge werden erwähnt: Beispielsweise wurde mit Bezug zu SDG 7 (Bezahlbare und saubere Energie) im Jahr 2020 erstmals mehr in grüne Energie als in fossile Brennstoffe investiert. Im Bereich Biodiversität gibt das „Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework“ Anlass zur Hoffnung. Es zielt darauf ab, mehr Land- und Wasserflächen zu schützen, um zunehmende Biodiversitätsverluste bis 2030 zu stoppen. Doch diese positiven Entwicklungen genügen bei Weitem nicht. Schätzungen zufolge müssten jährlich 1,4 bis 2,5 Billionen US-Dollar zusätzliches Kapital investiert werden, um auf den Zielerreichungspfad für die SDGs zurückzukehren. Nach COVID-19 könnten damit die erforderlichen Gesamtinvestitionen auf 4,2 Billionen US-Dollar gestiegen sein, von denen der größte Teil in Höhe von 3,9 Billion US-Dollar im Jahr 2020 als Finanzierungslücke in Entwicklungs- und Schwellenländern ausgemacht wurde.
Wie soll es weitergehen? Ansätze mit Blick auf einen nachhaltigeren Finanzmarkt
Alle gesellschaftlichen Kräfte sind aufgefordert, stärker als bisher mit individuellem und kollektivem Handeln gegenzusteuern. Vor allem die reichen Länder der Staatengemeinschaft stehen bei dieser Aufgabe genauso in der Pflicht wie Wirtschaft, Finanzmarkt, Wissenschaft/Technologieentwicklung und Gesellschaft insgesamt, effektivere Lösungen zu entwickeln, die ein Erreichen der SDGs fördern. Auch der private Kapitalmarkt ist gefordert, mehr Investitionen in SDG-konforme Wirtschaftsaktivitäten zu lenken. Fakt ist: Es werden weiterhin beträchtliche Summen von vornherein ohne jeglichen SDG-Fokus in nichtnachhaltige Technologien und Geschäftsmodelle investiert. Bedeutsam aus der Perspektive für die Erreichung der SDGs ist es neben höheren Investitionen auch, dass SDG-Investments ihre Wirkung vor allem in Ländern des globalen Südens entfalten müssen und nicht überwiegend auf eine Verbesserung der Situation in Industrieländern oder dort ansässiger Unternehmen einzahlen sollten. Was einleuchtend klingt, wird bei nachhaltigen Investments trotzdem nicht ausreichend umgesetzt. So konzentrieren sich der weitaus überwiegende Teil der am Markt verfügbaren Nachhaltigkeitsfonds auf Investitionen in Unternehmen in Industrieländern mit dem Effekt, dass die Finanzierung der Nachhaltigkeit meistens nicht direkt in den Entwicklungsländern ihre Wirkung entfaltet. Anders ausgedrückt: Die investierten Unternehmen erzielen in den aus der SDG-Perspektive besonders zu berücksichtigenden Ländern eine zu geringe Wirkung.
Die als notwendig erachtete, gezieltere Ausrichtung auf die SDGs bringt mehr Komplexität mit als von nachhaltigen Finanzprodukten oftmals suggeriert und vom regulatorischen Umfeld gefordert wird. Um einer Gefahr möglicher irreführender Aussagen zu SDG-Wirkungen zu begegnen, indem Anbieter nachhaltiger Finanzprodukte diese explizit herausstellen, sollten deshalb einige wichtige Elemente mit Bezug zu den SDGs transparent gemacht werden. Beispielsweise sollten SDG-Investments oder
-Fonds generell durch eine Definition strenger Ausschlusskriterien immer einen gegensätzlichen, negativen Impact der Investitionen vermeiden. Darüber hinaus sollten bei SDG-Fondsprodukten die erzielten SDG-Beiträge durch Produkte oder Dienstleistungen investierter Unternehmen belegt werden. Denn die von Unternehmen erbrachte ESG-Performance, die zunächst nur die Verantwortungsübernahme für die Prozesse der Leistungserbringung belegt, zählt nicht als SDG-Beitrag. Relevant ist auch, dass die von Unternehmen herangezogenen Produkte oder Dienstleistungen mit tatsächlichen Beiträgen auf die SDG-Unterziele einzahlen. Beispielsweise sollten von nachhaltigen Finanzprodukten genau wie von Unternehmen ihre Beiträge im Bereich regenerative Energie nicht automatisch auf die SDGs 7 und 13 gemappt werden, sondern explizite und direkte Beiträge zu den dort aufgeführten Unterzielen leisten. So fokussieren die Unterziele von SDG 13 nicht auf eine Verringerung von Treibhausgasen, sondern auf umgesetzte Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, in die regenerative Energieunternehmen oder Hersteller von Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energie in der Regel nicht involviert sind und damit keinen Beitrag zu SDG 13 leisten.
Um der im Zwischenbericht adressierten mangelnden Wirkungserzielung in Ländern des globalen Südens zu begegnen, sollten nachhaltige Finanzprodukte zukünftig besser belegen, ob beispielsweise ein investiertes Unternehmen mit seinen SDG-positiven Leistungen an entsprechender Stelle auch tatsächlich derartige Beiträge erbringt. Ein Umstand, der beispielsweise durch die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) nicht ausdrücklich befördert wird, da bei wirkungsbezogenen Artikel-9-Produkten keine spezifischen Anforderungen an den Ort der Wirkung, also das „Wo“, gestellt werden, sondern nur ein plausibler Nachweis des „Was“ und „Wie“ erbracht werden muss. Auch ESG-Ratingagenturen können entsprechende Datenpunkte in dieser Detailtiefe in der Regel (noch) nicht zur Verfügung stellen, entsprechend lässt sich das „Wo“ der Wirkung eines SDG-positiven Produkts nicht selbstverständlich abbilden. Dass es grundsätzlich möglich ist, zeigt der FairWorldFonds: So sehen die Anlagerichtlinien ausdrücklich eine Beförderung der SDGs durch die vorgenommenen Investments vor, indem für eine Reihe von Positivkriterien das Engagement der investierten Unternehmen in Schwellen- und Entwicklungsländern berücksichtigt wird. Beispielsweise, indem die Unternehmen dort Arbeitsplätze schaffen, im besonderen Maße die Rechte von Frauen oder benachteiligten Gruppen fördern, einen hohen Anteil ihrer Produktion in Schwellen- und Entwicklungsländern vornehmen oder spezifische Umweltaspekte entsprechend berücksichtigt werden.
Wir müssen uns anstrengen – denn die Uhr tickt
Die Frist für die Umsetzung der SDGs rückt näher und die Defizite sind offensichtlich. Trotz der enormen Mittelzuwächse in den letzten Jahren bei nachhaltigen Investments und den erzielten Fortschritten am Markt für Sustainable Finance müssen mit Blick auf die tatsächlich erzielten Wirkungen weitere Verbesserungspotenziale umgesetzt werden. Somit sind zusätzliche Bemühungen notwendig, an denen sich SDG-Investments zukünftig messen lassen müssen.