An der Schwelle zur Nachhaltigkeit
Die Grenzen zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern verschwimmen zusehends. Insbesondere die Zahl der Schwellenländer – das sind Staaten, die traditionell noch zu den Entwicklungsländern gezählt werden, aber nicht mehr deren typische Merkmale aufweisen – wächst. Sowohl in wirtschaftlicher als auch in nachhaltiger Perspektive liegen hier Chancen und Risiken nah beieinander.
Während weithin akzeptiert ist, dass auch Entwicklungsländer ein Recht auf Prosperität und Wachstum haben, sind die sozialen und ökologischen Folgen einer Annäherung von sieben Milliarden Menschen an den ressourcenintensiven „westlichen“ Lebensstil mehr als besorgniserregend. In den Schwellenländern muss daher nun gelingen, was die traditionellen Industrieländer bis heute nicht geschafft haben: Wohlstand für alle auf einem nachhaltigen Pfad zu erreichen! Wie gut diese Herkules-Aufgabe tatsächlich bewältigt werden kann, wird sich in den kommenden zehn bis 20 Jahren zeigen. Es ist aber bereits heute offenkundig, dass auch Investoren Verantwortung tragen, ihre Kapitalanlagen in den Emerging Markets in langfristiger Perspektive nachhaltig auszurichten. Die Schwierigkeiten bei der Analyse und Auswahl geeigneter Investments sind sowohl aus Sicht der Finanz- als auch der Nachhaltigkeitsanalyse durchaus vergleichbar. In puncto Unternehmen sind ein unterschiedlicher, teils wenig vertrauter ordnungspolitischer Rahmen, Sprachbarrieren und eine fremde Kommunikationskultur dabei nur eine Ebene. Zu beachten ist auch, dass die von „Developed-Market“-Investoren gewohnten Standards sowohl hinsichtlich wirtschaftlicher Solidität als auch unternehmerischer Verantwortung zum Teil deutlich abweichen können.
Ein Vergleich der Nachhaltigkeits-Ratings von europäischen Aktiengesellschaften und ihren Wettbewerbern aus den Emerging Markets der europäischen Agentur Vigeo Eiris macht das deutlich: Während in Europa mittlerweile „nur noch“ ein Drittel aller Unternehmen zu den nachhaltigen Nachzüglern gehört, sind es in den Schwellenländern aktuell noch bis zu zwei Drittel. Defizite gibt es in nahezu allen Bereichen, wobei in einer Durchschnittsbetrachtung insbesondere das Themenfeld Mitarbeiter am schlechtesten bewertet wird. Andersherum heißt das aber auch, dass sich das verbleibende Drittel der Emerging-Markets-Unternehmen bereits auf den Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise gemacht hat. Ob verantwortliche Investoren nun generell ihre Ansprüche in diesem Markt senken sollten oder sich auf das „nachhaltigere Drittel“ konzentrieren sollten, ist zu diskutieren. Eine Transformation zu einem nachhaltigeren Wirtschaftsmodell in Schwellenländern kann allerdings umso besser gelingen, desto schneller und zielgerichteter verantwortliche Investoren auch in den Emerging Markets Nachhaltigkeit in ihre Entscheidungen einbeziehen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Rubrik „Chancen und Schwierigkeiten von nachhaltigen Investments in Schwellenländern“ der portfolio institutionell (Ausgabe 12/2017).